Urlaubsabgeltung

Ewiger Urlaub – vergängliche Urlaubsabgeltung

Seit mehreren Jahren nun wird in der Rechtsprechung das Thema Urlaubsübertragung und Verfall von Urlaubsansprüchen behandelt. Hierzu hatte ich bereits mehrere Artikel zum sog. „grenzenlosen Urlaubsanspruch“ verfasst: Der grenzenlose Urlaubsanspruch…; Der grenzenlose Urlaubsanspruch… II; Hinweispflicht des Arbeitgebers auf drohenden Urlaubsverfall?. Der Streit ging über das Bundesarbeitsgericht zum Europäischen Gerichtshof und wieder zurück zum Bundesarbeitsgericht. Die rechtlichen Grundsätze wurde immer weiter verfeinert…

Gesetzlicher Untergang des Urlaubsanspruchs…

Nach der gesetzlichen Regelung des Bundesurlaubsgesetzes muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz). Entgegen der allgemeinen Meinung geht daher der Urlaubsanspruch nach dem Gesetzt spätestens am 31.12. unter. Urlaub, der bis dahin noch nicht genommen wurde, verfällt also hiernach.

Die weit verbreitete Auffassung, dass Urlaub noch bis zum 31.03. des Folgejahres genommen werden kann, findet sich in dem Gesetz somit nicht. Nach dem Gesetz wird der Urlaub nur dann ins Folgejahr übertragen, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Urlaubsgewährung im laufenden Jahr verhindert hatte. Hatte der Arbeitnehmer daher nur „vergessen“, seinen Urlaub zu nehmen, würde der Urlaub also grundsätzlich am 31.12. verfallen.

Da aber in vielen Arbeits- oder in Tarifverträgen eine Regelung enthalten ist, dass der Urlaub spätestens bis zum 31.03. des Folgejahres genommen werden kann, können viele Arbeitnehmer auch bis dahin ihren Urlaub noch „nachträglich“ nehmen.

Der ewige Urlaubsanspruch im bestehenden Arbeitsvertrag

Der europäische Gerichtshof hatte am 22.09.2022 (Az.: C-120/21) jedoch entschieden, dass der Urlaubsanspruch nur dann untergeht, wenn der Arbeitgeber seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungspflichten erfüllt hat. Hiernach muss der Arbeitgeber spätesten am Ende eines jeden Jahres seine Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass Urlaub noch zeitnah genommen werden muss, da er andernfalls verfällt. Hat der Arbeitnehmer hiernach zum Ende des Jahres seinen vollständigen Urlaub noch nicht genommen, muss der Arbeitgeber darauf hinwirken, dass der Urlaub noch rechtzeitig genommen wird. Unterlässt der Arbeitgeber seine urlaubsrechtliche Mitwirkungspflicht geht der Urlaubsanspruch weder am 31.12. oder zu einem späteren Zeitpunkt verloren. Vielmehr kann der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus dem Vorjahr weiter beanspruchen.

Diese Vorgehensweise setzt sich jedes Jahr aufs Neue fort. Unterlässt der Arbeitgeber daher regelmäßig seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungspflichten, wird der gesamte Urlaub und auch der Urlaub aus den Vorjahren, jeweils ins neue Jahr mitgenommen. Über eine lange Zeit kann sich damit ein enormer Urlaubsanspruch ansammeln.

Da nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes keinerlei Verjährungsvorschriften anwendbar sind, könnten Arbeitnehmer daher ihren Urlaub aus längst vergangener Zeit weiter geltend machen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20).

In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2022 hatte die Klägerin für die Kalenderjahre 2013 bis 2016 jeweils einen vertraglichen Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen erworben. Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt.  Nach den Feststellungen der Vorinstanz bestanden Urlaubsansprüche im Umfang von insgesamt 76 Urlaubstagen nicht. Wäre das Arbeitsverhältnis nicht am 31. Juli 2017 beendet worden, hätte die Klägerin also 76 Urlaubstage, die sie seit 2013 angespart hatte, durchsetzen können.

Urlaubsabgeltung

Scheidet der Arbeitnehmer aus dem Unternehmen aus, wandelt sich der bis dahin bestehende Urlaubsanspruch in einen Urlaubsabgeltungsanspruch. Statt Urlaubsgewährung hat der Arbeitgeber also den Urlaub finanziell abzugelten. Im oben genannten Fall wären also die vollen 76 Urlaubstage finanziell abzugelten.

Das Bundesarbeitsgericht hat aber nun entschieden, dass im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die entstehende Urlaubsabgeltung wieder den ganz normalen Verjährungs- und Verfallsfristen unterliegen.

Wenn das Arbeitsverhältnis endet, muss der bis dahin bestehende Urlaubsanspruch (also auch der Urlaubsanspruch aus den vergangenen Jahrzehnten) finanziell abgegolten werden. Arbeitnehmer haben also einen Anspruch auf Auszahlung der Urlaubsabgeltung. Dieser Anspruch unterliegt aber sofort wieder der normalen gesetzlichen Verjährung oder sogar kürzeren Verfallsfristen:

  1. Wenn nichts weiter im Arbeits- oder Tarifvertrag geregelt ist, verjährt der Anspruch in der Regel spätestens 3 Jahre später!
  2. Wenn im Arbeits- oder Tarifvertrag sog. Verfallsfristen vereinbart sind, kann der Anspruch sogar viel früher, meist 3 Monate nach Beendigung des Arbeitsvertrages, verfallen.

Damit ist also Eile geboten, wenn die Ansprüche nicht untergehen sollen.

Urlaub gilt auch für Scheinselbständige!

Das Bundesarbeitsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 244/20) zunächst die Anwendbarkeit der gesetzlichen Verjährungsvorschriften und tarif- oder arbeitsvertraglich vereinbarter Ausschlussklauseln auf den Urlaubsabgeltungsanspruch festgestellt. In dem Fall ging es aber auch darum, dass der Kläger zunächst in den Jahren 2007 bis 2010 bei einem Verlagshaus als freier Mitarbeiter beschäftigt worden ist. In dieser Anstellung war der Kläger hiernach nach Auffassung des Arbeitgebers selbständig und erhielt daher keinen Urlaub. Faktisch aber erfüllte der Kläger alle rechtlichen Voraussetzungen eines Arbeitnehmer. Der Kläger musst daher dem Gesetz entsprechend für die ganze Zeit als Arbeitnehmer behandelt werden. Als Arbeitnehmer hätte der Kläger aber einen gesetzlichen Urlaubsanspruch gehabt. Damit standen dem Kläger für die Zeit von 2007 bis 2010 gesetzliche Urlaubsansprüche zu, die er nie erhalten hatte.

Es kam wie es kommen musste: Das Arbeitsverhältnis endete am 30.09.2014. Zunächst ging der Kläger aber davon aus, dass ihm keine Ansprüche auf Urlaubsabgeltung zustehen würden. Daher machte der Kläger auch fast 4 Jahre keine Ansprüche geltend. Nachdem der Europäische Gerichtshof aber entschied, dass der Urlaub wegen fehlender Mitwirkungspflichten nicht untergeht, machte der Kläger nun am 01.08.2018 erstmalig seinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung geltend und verklagte seinen Arbeitgeber dann im Januar 2019: Also fast viereinhalb Jahre später!!!

Nachdem sich die Parteien über mehrere Instanzen gestritten hatten (Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht lehnten die Klage ab) entschied das Bundesarbeitsgericht nun zu Gunsten des Klägers! Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht auch noch nach so langer Zeit. Allerdings hatte der Kläger Glück: Denn da der Europäische Gerichtshof erst am 06.11.2018 den „ewigen Urlaubsanspruch“ erstmalig rechtlich feststellte, konnte der Anspruch der Klägers auf Urlaubsabgeltung erst ab diesem Tag der Verjährung unterliegen. Als der Kläger also seine Forderung auf Urlaubsabgeltung geltend machte, war der Anspruch noch nicht verjährt. Wow!

Stichtag war der 06.11.2018!

Das Urteil hat nun aber auch gleichzeitig einen Stichtag und damit eine Grenze für längst vergangene Ansprüche eingeführt: der 06.11.2018. Wer auch immer für die Vergangenheit bei bereits vor 2018 beendeten Arbeitsverhältnissen noch Ansprüche geltend machen wollte, hätte dies spätestens zum 31.12.2021 tun müssen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind nun alle Ansprüche auf Auszahlung von Urlaubsabgeltung für die vergangenen Jahrzehnte verjährt.

Sachstand heute

Stand heute muss zwischen beendeten und nicht beendeten Arbeitsverhältnissen unterschieden werden:

Bei noch bestehenden Arbeitsverhältnissen summiert sich der Urlaubsanspruch immer weiter auf, wenn der Arbeitgeber seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungspflichten unterlassen hat. Auch für viele Jahre oder Jahrzehnte zurückliegende Zeiten.

Wenn das Arbeitsverhältnis endet, hat der Arbeitnehmer zwar einen Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs und auch des möglicherweise seit vielen Jahrzehnten nicht genommenen Urlaubs. Aber für die Durchsetzung dieses Zahlungsanspruches gilt nun die gesetzliche Verjährung oder kürzer Ausschlussfristen (Verfallsklauseln) aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag. Zwar sind Verfallsklauseln oft unwirksam. Aber dann gilt stets die dreijährige Verjährungsfrist. Am 31.12.2023 verjähren somit Ansprüche auf Urlaubsabgeltung für Arbeitsverhältnisse, die im Jahr 2020 beendet worden sind.