In arbeitsrechtlichen Angelegenheiten besteht hinsichtlich der Kostentragungspflicht eine Besonderheit die von anderen Rechtsstreitigkeiten abweicht.
In gerichtlichen Verfahren besteht der Grundsatz, dass die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Die Kosten umfassen hierbei insbesondere:
Die obsiegende Partei, also die Partei die den Rechtsstreit voll gewonnen hat, kann daher Erstattung ihrer Kosten von der Gegenseite verlangen.
Kommt es zu einem teilweisen Obsiegen, werden die Kosten entsprechend der Quote des Obsiegens und Unterliegen verteilt. Das vorliegende Prinzip findet bei Rechtsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gericht (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht), aber auch bei der Fachgerichtsbarkeit Anwendung (z.B. Verwaltungsgerichte, Sozialgerichte, Finanzgerichte).
In Verfahren vor dem Arbeitsgericht findet jedoch eine andere Regelung Anwendung. In § 12a Abs. 1 ArbGG heißt es:
In Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten oder Beistands.
https://www.gesetze-im-internet.de/arbgg/__12a.html
Was ein Urteilsverfahren ist, wird in § 2 ArbGG geregelt. Hierunter fallen insbesondere die am häufigsten vorkommenden Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die Kostenregelung besagt damit, dass in der ersten Instanz jede Partei unabhängig von Obsiegen oder Unterliegen stets ihre eigenen Rechtsanwaltskosten zahlen muss.
Wer also als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer mit anwaltlicher Hilfe einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht führen will, muss sich darüber im Klaren sein, dass er stets seine eigenen Rechtsanwaltskosten selbst zahlen muss. Egal ob er am Ende gewinnt. Je nach Höhe der Kosten kann ein Rechtsstreit hierdurch unwirtschaftlich werden, wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht, die die Kosten übernimmt. Einen Prozesskostenrechner findet man hier.
Die Gerichtskosten bezahlt jedoch weiterhin die Partei, die den Rechtsstreit verloren hat. Allerdings können Gerichtskosten dadurch verhindert werden, dass die Klage rechtzeitig vom Kläger wieder zurückgenommen bzw. vom Beklagten anerkannt wird oder bei einer Einigung.
Ab der zweiten Instanz (Landesarbeitsgericht oder Bundesarbeitsgericht) gelten wieder die allgemeinen üblichen Regelungen. Hiernach zahlt die Partei alle Kosten, die den Rechtsstreit verliert.
Der Zweck der Sonderregelung über die Kostentragungspflicht besteht zunächst darin, das erstinstanzliche arbeitsgerichtliche Verfahren zum Schutz des in der Regel sozial schwächeren Arbeitnehmers möglichst zu verbilligen und damit das Kostenrisiko überschaubar zu halten. Arbeitnehmer sollen – wegen ihrer typischerweise bestehenden wirtschaftlichen Unterlegenheit – auch dann, wenn sie im Arbeitsgerichtsprozess unterliegen, nicht mit den in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG genannten Kosten belastet werden. Hierdurch soll vermieden werden, dass sie in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten von einer gerichtlichen Verfolgung bestehender Ansprüche absehen.
Eigentlich regelt § 12a Abs. 1 ArbGG nur die gerichtlichen Kosten. Die Rechtsprechung wendet die Regelung aber auch auf alle vorgerichtlichen Kosten. Daher ist es beispielsweise nicht möglich, vom Arbeitgeber die Anwaltskosten ersetzt zu verlangen, die dem Arbeitnehmer für eine vorgerichtliche Beauftragung eines Anwaltes zur Durchsetzung von Ansprüchen entstanden sind. Zahlt der Arbeitgeber beispielsweise den Lohn nicht oder wird eine unwirksame Kündigung ausgesprochen, können die Kosten eines Anwaltes, der zur Durchsetzung der Ansprüche beauftragt wurde, nicht verlangt werden.
Arbeitgeber müssen daher die Anwaltskosten, auch wenn sie gefordert werden, nicht zahlen.
In vielen Fällen kann es daher kostengünstiger sein, den Anwalt direkt mit der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen zu beauftragen. Dies gilt umso mehr, wenn eine Anspruchserfüllung ohnehin nicht erwartet werden kann. Der Anwalt sollte daher vorher immer genau prüfen, ob eine vorgerichtliche Beauftragung Sinn macht oder ob direkt Klage erhoben werden soll.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens (Rechtssache C-113/22) aus Spanien mit der Frage beschäftigen, ob Prozesskosten bei Diskriminierungsrechtsstreitigkeiten von der Unterliegenden Partei zu erstatten sind.
Nach den gesetzlichen Regelungen sind spanische arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren für alle Parteien des Rechtsstreits unentgeltlich. Dies bedeutet, dass wie in deutschen arbeitsgerichtlichen Verfahren die obsiegende Partei ihre Anwaltskosten nicht von der unterlegenen Partei erstattet bekommt. In dem Verfahren in Spanien ging es um eine Klage wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Verstoß gegen die Gleichbehandlung von Mann und Frau).
Die rechtliche Grundlage bildet eine europäische Richtlinie, also ein „europäisches Gesetz„. Daher durfte der EuGH hier eine Entscheidung treffen. Europäische Richtlinien gelten in ganz Europa. Daher wurde die Richtlinie auch bei uns in einem deutschen Gesetz umgesetzt. Die Entscheidung hat auch für uns Relevanz.
Der EuGH hat entschieden, dass in dem vorliegenden Diskriminierungsrechtsstreit auch die Anwaltskosten als Schadensersatz dem betroffenen zu zahlen sind. Daher auch die Prozesskosten, obwohl das spanische Prozessrecht wie in Deutschland etwas abweichendes regelt.
Bei uns in Deutschland wurde Europäisches Antidiskriminierungsrecht im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umgesetzt. Soweit dort wegen Diskriminierungen Schadensersatzansprüche geregelt sind, müssen wir uns an die Rechtsprechung des EuGH halten. Durch den vorliegenden Rechtsstreit hat der EuGH aber nun zu erkennen gegeben, dass Schadensersatzansprüche wegen Diskriminierungen auch Anwalts- und Prozesskosten umfassen müssen.
Zukünftig muss man also bei Klageverfahren auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darauf bestehen, dass entgegen des deutschen Rechts im Fall des Obsiegens auch die Prozess- und Anwaltskosten erstattet werden. Es bleibt spannend, ob die Arbeitsgerichte ihre Rechtsprechung nun anpassen werden.
Der vorgenannte Anspruch betrifft nur Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)! In anderen Verfahren, die keine Grundlage im Europarecht haben, verbleibt es bis zur ersten Instanz bei dem Grundsatz, dass Anwaltskosten nicht erstattet werden müssen.