Nach den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Nur bei dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründe ist der Urlaub in das folgende Jahr zu übertragen. Der Urlaub muss in diesem Fall in den ersten drei Monaten des Folgejahres genommen werden. Die Übertragung des Urlaubes in das nächste Jahr, auch bis zum 31.03. des Folgejahres, ist daher in gesetzlicher Hinsicht ein Ausnahmefall. Der Europäische Gerichtshof hatte am 05.11.2018 jedoch entschieden, dass der Urlaub unter keinen Umständen untergehen kann, wenn der Arbeitnehmer nicht zuvor aufgefordert worden ist, seinen Urlaub zu nehmen. Das Bundesarbeitsgericht musste diese Rechtsprechung nunmehr in aktuellen Entscheidungen anwenden. Mit erstaunlichem Ergebnis…
In drei aktuellen Fällen musste das Bundesarbeitsgericht nunmehr die neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anwenden. Den Vorinstanzen waren die neuen Leitlinien noch nicht bekannt. In allen drei Fällen begehrte der gekündigte Arbeitnehmer Zahlung der Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub der letzten Jahre.
In allen drei Fällen hatten die Vorinstanzen nicht geprüft, ob der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht bei der Gewährung von Urlaub nachgekommen war. Nach neuer Rechtsprechung muss der Arbeitgeber hiernach seine Arbeitnehmer auffordern, den ihnen zustehenden Urlaub zu nehmen. Zudem muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmern klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub, wenn er nicht genommen wird, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Diese Aufforderung kann mündlich erfolgen und hat erforderlichenfalls sogar förmlich zu erfolgen, wenn der Arbeitnehmer die Aufforderung nicht versteht oder nicht ernst nimmt. Aus Gründen des Nachweises sollte die Aufforderung jedoch immer förmlich erfolgen.
Da Arbeitgeber in der Vergangenheit nach deutscher Rechtslage keiner Pflicht zur Aufklärung über den drohenden Urlaubsverfall zum Ende des Jahres unterlagen, hatten die Vorinstanzen diese Frage auch nicht näher beleuchtet. Erst aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs müssen Arbeitgeber nun über den drohenden Urlaubsverfall zum Ende des Jahres hinweisen. Ob dies in den drei Fällen geschehen ist, müssen die Landesarbeitsgerichte nun neu prüfen. Da den Vorinstanzen die neue Rechtsprechung nicht bekannt war, hatte sie nach der alten Rechtslage die Frage nach der Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers nicht beantwortet.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinen rechtlichen Ausführungen zu erkennen gegeben, dass sich der Urlaubsanspruch unbegrenzt auf die Folgejahre überträgt, wenn der Arbeitnehmer seinen vollen Urlaub nicht genommen hat und der Arbeitgeber ihn auch nicht nachweislich aufgefordert hatte, den Resturlaub zu nehmen. Hierdurch können sich Urlaubsansprüche faktisch grenzenlos und zeitlos anhäufen und wären bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vollständig abzugelten:
Hierzu ein Beispiel: Würde ein Arbeitnehmer über 10 Jahre keinen einzigen Tag Urlaub (z.B. 25 Tage im Jahr) nehmen und würde der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer nicht auffordern den Urlaub zu nehmen, könnte der Arbeitnehmer auch noch nach 10 Jahren seinen vollständigen Urlaub verlangen oder bei Beendigung sogar eine finanzielle Abgeltung fordern (im Beispiel 250 Tage!). Es gibt nach dem Bundesarbeitsgericht keine Verjährung und keinen Verfall des Urlaubsanspruches!
Arbeitgeber sollten daher zeitnah zum Ende des Jahres automatische ihre Arbeitnehmer schriftlich auffordern, ihren Resturlaub zu nehmen und darauf hinweisen, dass dieser andernfalls zum 31.12. verfällt. Da eine strenge Rechtsprechung zum Inhalt der Aufforderung zu erwarten ist, sollte in Betracht gezogen werden, den Arbeitnehmern auch mitzuteilen, wie der Urlaub beantragt werden kann.
Ist im Arbeitsvertrag nicht erkennbar, ob der zusätzliche Urlaub eigenen Regelungen unterliegt, werden auf ihn die gesetzlichen Regelungen im oben genannten Sinne angewendet.