AGG

Diskriminierung bei Bewerbung

Das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll vor Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität schützen und diese zu verhindern oder beseitigen. Das AGG beruht auf vier Gleichbehandlungsrichtlinien der Europäischen Union und setzte diese in nationales Recht um. Es ist damit der Europäischen Union zu verdanken, dass es in Deutschland einen entsprechenden Schutz vor Diskriminierungen gibt.

Was droht bei Verstößen?

Das AGG regelt in § 15 Entschädigung und Schadenersatzansprüchen. Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Es besteht damit ein Anspruch auf Ersatz des konkret entstandenen Schadens, den ein Arbeitnehmer erlitten hat. Der Schaden ist nach oben nicht begrenzt. In der Regel liegt aber meist kein konkreter finanzieller Schaden vor oder er ist schwer nachzuweisen.

In § 15 Absatz 2 AGG werden jedoch auch „Schmerzensgeldansprüche“ geregelt. Das Gesetz spricht hierbei von einem „nicht Vermögensschaden“, also einen immateriellen Schadensersatz. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Wenn es aber um eine Einstellung geht, ist der Anspruch auf drei Monatsgehälter begrenzt.

Insbesondere sog. „AGG-Hopper“ versuchen hiermit Ansprüche zu generieren.

(vgl. mein Beitrag vom 04.08.2019 – Ist AGG-Hopping strafbar?)

Wer muss die Diskriminierung beweisen?

Würde man die normalen prozessualen Maßstäbe ansetzen, würde die Anspruchsdurchsetzung für Betroffene, die unter einer Diskriminierung leider, ganz erheblich erschwert. Denn nach den normalen prozessualen Maßstäben muss der Anspruchssteller die rechtlichen Voraussetzungen seines Anspruches in der Regel genügend darlegen und auch beweisen können.

Um den Betroffenen die Anspruchsdurchsetzung nicht zu erschweren, sieht das Gesetz in § 22 AGG eine Beweislastregelung vor. Hiernach reicht es aus, dass der Betroffene „Indizien“ beweist, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Allein dies führt dann dazu, dass die andere Partei sodann die Beweislast dafür trägt, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen haben.

Durch die Regelung muss der Betroffene nur Umstände vortragen, die auf eine Diskriminierung schließen lassen. Hierdurch ist es viel einfacher die Gerichte von einer Diskriminierung zu überzeugen. Müsste der Betroffene die Diskriminierung beweisen, müsste er Umstände vortragen, die die Diskriminierung belegen.

Besonderheiten in der Bewerbungsphase

Bei der Bewerbung von schwerbehinderten Personen kommen aus der Richtung des neunten Buches des Sozialgesetzbuch (SGB IX) ganz besondere Pflichten zum Vorschein. So haben alle Arbeitgeber die eingehenden Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang der Schwerbehindertenvertretung zur Unterrichtung vorzulegen. Zudem sind auch der Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrat unmittelbar nach Eingang der Bewerbung zu unterrichten (§ 164 SGB IX)

Öffentliche Arbeitgeber müssen sogar schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen (§ 165 SGB IX). Eine Einladung ist nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Verstoß gegen diese besonderen Pflichten bei Bewerbungen

Wird gegen die vorgenannten besonderen Pflichten verstoßen, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits in Indiz für eine Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung vor. Es reicht sogar aus, dass der Bewerber nur behauptet, dass die Bewerbungsunterlagen nicht unmittelbar nach Eingang der Bewerbung zur Unterrichtung weitergeleitet wurden. Er muss also keinerlei Anhaltspunkte für seine Behauptung haben. Dies ist ungewöhnlich! Denn „Behauptungen ins Blaue“ hinein werden von den Gerichten üblicherweise nicht gehört. Für den Arbeitgeber löst dies dann sofort die Pflicht aus, die mutmaßliche Diskriminierung zu widerlegen. Das Gleicht gilt auch, wenn schwerbehinderte Bewerber von öffentlichen Arbeitgeber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Bereits die fehlender Einladung ist ein Indiz für eine Benachteiligung.

Schafft es der Arbeitgeber dann nicht mehr, die vermutete Benachteiligung auszuräumen, drohen hohe Schadensersatzansprüche.

Der Fall des Bundesarbeitsgericht

Das Bundesarbeitsgericht hatte in dem Verfahren 8 AZR 136/22 am 14.06.2023 einen entsprechenden Rechtsstreit zu entscheiden:

Der Kläger bewarb sich bei der Beklagten (Arbeitgeber) und offenbarte in der Bewerbung seine Schwerbehinderung. Bei dem Arbeitgeber war ein Betriebsrat eingerichtet. Keine Woche nach Eingang der Bewerbung erteilte der Arbeitgeber dem Bewerber per E-Mail eine Absage. Hierauf meldete der Bewerber Schadensersatzansprüche nach dem AGG an, welche der Arbeitgeber ablehnte. Darauf verklagte der Bewerber den Arbeitgeber zunächst erfolglos vor dem Arbeitsgericht Hamburg und in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg auf Entschädigung von mindestens 10.000,00 €. Dies entsprach zwei zu erwartenden Bruttomonatslöhnen.

Der klagende Bewerber behauptete vor den Gerichten, dass der Arbeitgeber die Bewerbung nicht entsprechend § 165 SGB IX unmittelbar nach Eingang zu Unterrichtung dem Betriebsrat vorgelegt habe. Der Arbeitgeber entgegnete hierauf, dass es sich dabei nur um eine „Behauptung ins Blaue“ hinein handele. Solche Behauptungen seien prozessual überhaupt nicht beachtlich. Der klagende Bewerber sei daher mit seiner Behauptung nicht zu hören, womit es an entsprechendem Vortrag von Indizien fehlen würde.

Da der Arbeitgeber meinte, hiermit die Klage bereits zu Fall bringen zu können, trug er zu seiner „Verteidigungnichts mehr wesentliches vor. Tatsächlich hätte der Arbeitgeber zur Widerlegung der mutmaßlichen Diskriminierung Einzelheiten zu seinem Bewerbungsverfahren offenlegen müssen. Er hätte substantiiert vortragen müssen, dass er bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen ist, das eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Diskriminierungsgrundes ausschließt. Hierauf hatte der Arbeitgeber aber verzichtet, weil er sich sehr sicher war, dass der klagende Bewerber selbst nicht ausreichend Inidizien vorgetragen hatte und den Rechtsstreit daher verlieren würde.

Die Entscheidung – Rechnung ohne den Wirt gemacht…

Der Arbeitgeber hatte hier ganz offensichtlich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er konnte zwar über zweit Instanzen hinweg mit seinem Argument durchdringen. Das Arbeitsgericht Hamburg und auch das Landesarbeitsgericht Hamburg gaben dem beklagten Arbeitgeber durchweg Recht. Doch vor dem Bundesarbeitsgericht wendete sich dann plötzlich das Blatt.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass es sehr wohl ausreiche, wenn der Bewerber einen Verstoß gegen die Pflichten aus § 164 SGB IX schlicht behaupte. Es handele sich hierbei auch nicht um eine „Behauptung ins Blaue hinein„. Denn Bewerber hätten überwiegend keinerlei Informationen darüber, ob die Bewerbung auch unmittelbar nach Eingang zur Unterrichtung der entsprechenden Stelle vorgelegt würden und ob der Arbeitgeber die gesetzlichen Regelungen eingehalten hatte. Vor allem müssen Bewerber nicht vorher auf anderen Wegen versuchen, ihre fehlenden Wissenslücken zu schließen. Das BAG betonte, dass es insbesondere nicht erforderlich ist, sich Informationen über eine Kontaktaufnahme zum Betriebsrat einzuholen.

Da der Arbeitgeber im Vertrauen auf seine Rechtsauffassung (welche ja auch von zwei Instanzen bestätigt wurde) sich nicht weiter wesentlich äußerte, verlor er nun vor dem Bundesarbeitsgericht den gegen ihn gerichteten Schadensersatzprozess. Das Bundesarbeitsgericht sprach dem klagenden Bewerber eine Entschädigung von 7.500,00 € zu, was 1,5 Bruttoarbeitslöhnen entsprach.

Praxistipp

Leider darf man nicht allein auf die „Weisheit“ der unteren Instanzen vertrauen. Immer wieder versuchen Gerichte Ansprüche vorschnell abzulehnen, weil angeblich nicht ausreichend vorgetragen wurde. Insbesondere in Diskriminierungsprozessen wird oft verkannt, dass zur Behauptung eine Diskriminierung nur Indizien vorgetragen werden müssen und keine Beweise für die Behauptung gefordert werden. Auch die fehlende oder nur unzureichende Kenntnis über interne Angelegenheiten der anderen Seite führen oft zum Scheitern von Ansprüche vor den Gerichten der unteren Instanzen. Fälschlicherweise wird zu oft verlangt, dass der klagende Bewerber sich die entsprechenden Informationen, wie auch immer, zu beschaffen habe. Andernfalls drohe eine Klageabweisung.

Der verklagte Arbeitgeber hatte sich in dem Verfahren zu früh auf seiner Rechtsposition ausgeruht und wurde dann letztendlich in der dritten Instanz kalt vom Bundesarbeitsgericht erwischt. Dies ist keine Seltenheit im Instanzenzug. Hier hätte man besser seinen Blick auch mal in die andere Richtung bewegeb und hätte vorsorglich mehr vortragen sollen (wenn dies denn überhaupt möglich war). Die gesamten Prozesskosten durch alle drei Instanzen dürften nicht weniger als 17.131,55 € betragen haben.

Fristen

Ein Schadensersatzanspruch wie der vorliegende muss innerhalb einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Dies regelt § 15 Absatz 4 AGG:

Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

§ 15 Abs. 4 AGG

Es ist zu beachten, dass Abweichungen in einem Tarifvertrag möglich sind. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

Im Falle einer schriftlichen Ablehnung muss dann innerhalb von drei Monaten eine Klage auf Entschädigung erhoben werden. Diese Frist läuft nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist. Diese Frist ist nicht im AGG geregelt, sondern findet sich in § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes!