Massenentlassungen – Folgen für Kündigungen

Bereits 1920 wurde im Betriebsrätegesetz ein Kündigungsschutz für Arbeitnehmer eingeführt. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte der Deutsche Bundestag in seiner ersten Wahlperiode durch die Einführung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) an die früheren sozialen Errungenschaften angeknüpft. Schon in der ersten Fassung des Kündigungsschutzgesetzes wurden spezielle Vorschriften für den Fall von Massenentlassungen eingeführt. Die Europäische Gemeinschaft (heute: Europäische Union) hatte in ihrer RICHTLINIE 98/59/EG (sog. Massenentlassungsrichtlinie) die Regelungen für Massenentlassungen für alle Mitgliedsstaaten angeglichen. Dies führte dazu, dass die Auslegung unseres Kündigungsschutzgesetzes heute durch den Europäischen Gerichtshof erfolgt und nicht mehr durch die nationalen Gerichte, insb. das Bundesarbeitsgericht. Daher sind die in dem Gesetz enthaltenen Begriffe wie „der Betrieb“ europäisch für alle Mitgliedstaaten auszulegen und nicht mehr national.

Was ist eine Massenentlassung?

Eine Massenentlassung liegt vor, wenn innerhalb von 30 Tagen

  • in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
  • in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 Prozent der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
  • in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer

entlassen werden sollen.

Ob eine Massenentlassung vorliegt, hängt daher von der Betriebsgröße ab. Wesentlich ist zudem auch, ob die entsprechende Zahl von Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen entlassen wird. Damit könnte der Arbeitgeber durch eine zeitliche Verzögerung der Kündigungen verhindern, dass eine Massenentlassung vorliegt.

Warum gibt es hierfür besondere Regelungen?

Durch die Regelungen sollen die sozioökonomischen Auswirkungen einer plötzlichen „Entlassungswelle“ durch ein Unternehmen vor Ort beherrschbar gemacht werden. Die örtliche Agentur für Arbeit soll die Möglichkeit erhalten, sich auf die Entlassung einer Vielzahl von Arbeitnehmern vorbereiten zu können. Es soll genügend Zeit bleiben, durch geeignete Maßnahmen Belastungen für den örtlichen Arbeitsmarkt zu vermeiden oder zumindest zu verzögern. Die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen sollen durch rechtzeitiges Handeln der Arbeitsagenturen abgemildert werden können. Zudem soll die Möglichkeit bestehen, rechtzeitig für anderweitige Beschäftigung zu sorgen.

Welche Regeln gibt es? Was sind die Konsequenzen bei Nichtbeachtung?

Konsultation der Arbeitnehmervertretung

Will der Arbeitgeber eine Vielzaht von Arbeitnehmern kündigen, hat er zunächst den Betriebsrat oder eine andere entsprechende Arbeitnehmervertretung hierüber zu informieren. Dem Betriebsrat sind insbesondere vor Ausspruch einer Kündigung folgende Auskünfte zu erteilen (§ 17 Abs. 2 KSchG):

  1. die Gründe für die geplanten Entlassungen,
  2. die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
  3. die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
  4. den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
  5. die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
  6. die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

Konsultation der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit

Zudem hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung die für den Betrieb örtlich zuständige Agentur für Arbeit über die bevorstehenden Entlassungen zu unterrichten. Hierzu muss er der Arbeitsagentur die Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuleiten. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber mindestens folgende weitere Informationen mitteilen:

  • Angaben über den Namen des Arbeitgebers,
  • den Sitz und die Art des Betriebes,
  • die Gründe für die geplanten Entlassungen,
  • die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden,
  • die in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
  • den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und
  • die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

Rechtsfolgen bei Fehlern

Werden die vorliegenden Information nicht entsprechend der Anforderungen des Gesetzes vor dem Ausspruch der Kündigungen an den Betriebsrat oder die Agentur für Arbeit erteilt, sind alle Kündigungen unwirksam.

Arbeitnehmer könnten durch rechtzeitige Erhebung von Kündigungsschutzklagen innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigungen die Unwirksamkeit durch die Arbeitsgerichte feststellen lassen. Nur falls durch Arbeitnehmer nicht innerhalb der 3-Wochen Frist Klage erheben, würden die Kündigungen kraft Gesetzes rechtmäßig.

Der Fall „Air Berlin“

Das Bundesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil vom 13.02.2020 (Az.: 6 AZR 146/19) wegen Fehler des Arbeitgebers im Rahmen der Massenentlassung die Kündigung eines Piloten vom 28.11.2017 für unwirksam erklärt. Hierzu kam es, weil „Air Berlin“ die Agentur für Arbeit am Hauptsitz in Berlin konsultierte statt die Agentur für Arbeit in Düsseldorf. Denn innerhalb des Unternehmens „Air Berlin“ war der Standort Düsseldorf ein eigener „Betrieb“ im Sinne der EU-Verordnung und somit auch im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes. „Air Berlin“ hatte den Begriff des Betriebs falsch ausgelegt und ging davon aus, das hiermit das gesamt Unternehmen gemeint sei. Nach Ansicht von „Air Berlin“ musste daher die Agentur für Arbeit in Berlin konsultiert werden. Selbst die Agentur für Arbeit in Berlin ging hiervon aus. „Air Berlin“ hätte aber den nahezu eigenständig handelnden Standort in Düsseldorf als „Betrieb“ im Sinne der Vorschriften sehen müssen und somit auch dort die Agentur für Arbeit in Düsseldorf konsultieren müssen.

Kleiner Fehler, große Wirkung!

Durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts stand somit erst nach ca. 2 Jahre die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Lohn in Höhe von mehr als 2 Jahresgehältern nachzahlen muss (soweit noch Geld vorhanden war).

Die Probleme liegen oft im Detail. Sogar die Agentur für Arbeit in Berlin ging davon aus, für die Massenentlassungsanzeige zuständig zu sein. Dies half dem Arbeitgeber jedoch nicht weiter.