Fahrradlieferant

Fahrräder für Fahrradlieferanten

Man stelle sich folgenden Sachverhalt vor:

Gesucht wird ein(e) Büroangestellte(r) zur Erbringung von Sekretariatsarbeiten. Im Arbeitsvertrag steht ausdrücklich geschrieben: Sie müssen ihren eigenen Computer, einen Drucker und ein Telefon zur Arbeit mitbringen. Zudem müssen Sie noch ein Stuhl und auch ein Schreibtisch mitbringen. Für die Abnutzung des Stuhls gibt es pro Arbeitstag eine Entschädigung von 1 EURO.

(c) by Ben

Wahrscheinlich käme niemand auf die Idee, dass es solche Arbeitsverträge gibt oder Arbeitgeber von ihren Angestellten das Mitbringen eines Stuhles verlangen.

Für Kurier- oder Lieferdienstfahrer scheint diese Geschichte aber nicht sonderlich unwahrscheinlich zu sein!

Was war geschehen?

Ein Fahrradlieferant („Rider“) hatte seinen Arbeitgeber auf Bereitstellung eines verkehrstauglichen Fahrrades und ein internetfähiges Mobiltelefon verklagt. Der Arbeitnehmer war als Fahrradlieferant eingestellt und musste mit dem Fahrrad Speisen und Getränke ausliefern. Die Einsatzpläne und die Adresse der Restaurants und Kunden erhält er hierbei über eine App („Scoober App“), die er über sein Smartphone nutzen musste.

Laut Arbeitsvertrag war der Arbeitgeber aber nicht verpflichtet, die erforderlichen Arbeitsmittel (Fahrrad und Mobiltelefon) zur Verfügung zu stellen. Um überhaupt seine Arbeit erbringen zu können, nutzte der Fahrradlieferant sein eigenes Fahrrad und Mobiltelefon. Als „Entschädigung“ für die Abnutzung des Fahrrads versprach der Arbeitgeber lediglich die Zahlung eines Reparaturguthabens in Höhe von EUR 0,25 EUR pro Arbeitsstunde.

Hiermit war der Arbeitnehmer nicht einverstanden und zog vor Gericht!

Vor Gericht verlangte der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber die Überlassung eines internetfähigen Mobiltelefons (Smartphone) und ein verkehrstüchtiges Fahrrad. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hatte die Klage noch abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Hessen gab dem klagenden Fahrradlieferant hingegen Recht. Hiermit war der Arbeitgeber nicht einverstanden und zog weiter vor das Bundesarbeitsgericht.

Die Entscheidung des BAG

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) (Urt. v. 10.11.2021, Az.: 5 AZR 334/21) musste nun die Frage klären, ob ein Fahrradlieferant die Überlassung eines Fahrrads und eines Mobiltelefons von seinem Arbeitgeber verlangen kann. Konkret ging es also um die Frage, ob der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag wirksam die Überlassung dieser Arbeitsmittel ausschließen kann.

Bundesarbeitsgericht gibt dem Fahrradlieferant Recht!

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Fahrradlieferant gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Überlassung eines verkehrstauglichen Fahrrades und eines internetfähigen Mobiltelefons hat.

Denn nach § 611a BGB ist der Arbeitnehmer nur verpflichtet, seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen. Die essentiell erforderlichen Arbeitsmittel hat der Arbeitgeber bereitzustellen.

Der Arbeitgeber kann daher von seinen Angestellten nicht erwarten, dass diese die notwendigen (essentellen) Arbeitsmittel für die Arbeit selbst mitbringen. Die absolut notwendigen Arbeitsmittel muss der Arbeitgeber daher stets selbst zur Verfügung stellen. Er kann auch im Arbeitsvertrag dieser Pflicht nicht aufheben. Eine solche Regelung ist unwirksam.

Essentielle Arbeitsmittel

Doch was sind essentielle, also wesentliche, Arbeitsmittel?

Diese Frage wird leider auch künftig stets nur im Einzelfall geklärt werden. Ausgangspunkt ist hierbei der Gedanke, dass der Arbeitnehmer nur seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen muss. Alle Werkzeuge und Mittel, die darüber hinaus zwingend erforderlich sind, wird der Arbeitgeber bereitstellen müssen!

Fahrräder sind für Fahrradlieferant genauso essentiell wie Autos oder Mofas für Kurierfahrer oder Paketlieferanten. Ein Mobiltelefon wird dann wesentlich sein, wenn allein hiermit auf wichtige Informationen des Arbeitgebers zugegriffen werden kann (Beispiel: Dienstpläne oder Lieferadressen von Kunden).

Das Schlachtmesser wird für die Metzgerarbeit ebenso wichtig sein wie der Spaten für den Gärtner. Beides muss also vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Auch das Taxi wird dem Taxifahrer zur Verfügung gestellt werden müssen.

Wie Rechte durchsetzen?

Arbeitnehmer können ihren Anspruch auf Überlassung der erforderlichen Arbeitsmittel direkt im Klageweg durchsetzen. Darüber hinaus besteht auch ein Zurückbehaltungrecht. Hiermit könnte die Arbeitsleistung so lange zurückbehalten werden, bis der Arbeitgeber die erforderlichen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten: Keine Arbeit bis zur Herausgabe der erforderlichen Arbeitsmittel.

Schutzausrüstung

Schutzausrüstung (z.B. Fahrradhelme) sind nicht unbedingt ein absolut notwendiges Arbeitsmittel. Jedenfalls wenn es keine gesetzliche Pflicht hierfür gibt. Daher kann die Arbeitsleistung auch ohne entsprechende Schutzausrüstung vollständig erbracht werden. Dennoch haben Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf die Überlassung entsprechender Schutzausrüstungen nach den Grundlagen des Arbeitsschutzrechts.

Ein besonderer Dank geht an den 9-jährigen Ben, der die beiden Bilder für diesen Artikel angefertigt hat! 🙂