Wäldchestag

Was dem Frankfurter lieb ist…

In Wald, da muß heut Jedes, Zu Kutsch, zu Pferd, per Eisebah, Zu Nache un per Pedes. Un alle Läde un Condorn, Die wern schlosse; Alles! Die Zeil leiht da, wie gottverlorn, Un leer is selbst der Dalles!

Friedrich Stoltze, 1853

Der Frankfurter mag seinen Wäldchestag! Das lokale Volksfest findet seit dem 18. Jahrhundert jährlich an Pfingsten im Frankfurter Stadtwald statt. Bis 1990 war es zudem üblich, dass Geschäfte am Pfingstdienstag ab Nachmittag geschlossen hatten. Die Frankfurter Arbeitnehmer bekamen ab 12 Uhr überwiegend frei. Es verwundert daher nicht, dass die Frankfurt ihren Nationalfeiertag sehr lieb gewonnen haben. Doch dies änderte sich ab 1990 zusehend. Jedoch nicht ohne massiven juristischen Widerstand einiger Frankfurter (und Frankfurter Gerichte) …

Was war geschehen

Der verklagte Arbeitgeber gab in der Vergangenheit der obigen Tradition entsprechend bereits vor 1972 sowie durchgängig bis 1990 seinen Arbeitnehmern am Pfingstdienstag einen halben Tag frei. Dies änderte sich 1991 aus Anlass des Golfkrieges. In diesem Jahr wurden durchgängig Fastnachtsveranstaltungen abgesagt. Der klagende Arbeitnehmer erhielt daher zunächst keinen freien Tag für die Besuche von Fastnachtsveranstaltungen, so wie sonst immer üblich. Auch für den Wäldchestag an Pfingsten sollte es nunmehr keinen halben Tag mehr frei geben. Dies akzeptierte der Kläger jedoch nicht mehr. Zuviel war Zuviel! Der Kläger verließ daher kurzerhand um 12.10 Uhr seinen Arbeitsplatz. Ob er hierauf den Wäldchestag besuchte, ist leider nicht bekannt. Der Arbeitgeber weigerte sich jedoch den entsprechenden Lohn für den eigens genommenen halben Tag zu zahlen.

Hierauf verklagte der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber. Vor dem Gericht machte er geltend, dass er auch in Zukunft Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung für Rosenmontag/Faschingsdienstag sowie für den Wäldchestag habe. Der Anspruch sei nämlich kraft betrieblicher Übung entstanden.


Der Verfahrensgang

Vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 5. Dezember 1991, Az.: 11 Ca 261/91) und vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht (Urteil vom 22. Juli 1992, Az.: 2 Sa 497/92) erhielt der Kläger zunächst Recht.

Man mag den beiden ersten Instanzen löblich unterstellen aufgrund der örtlichen Nähe (beide Gerichte befinden sich in Frankfurt am Main) einen besonderen Bezug zu den lokalen Traditionen gehabt zu haben. Es kann wohl auch unterstellt werden, dass die Richter beider in Frankfurt ansässigen Gerichte ebenfalls von der traditionellen Regelung am Pfingstdienstag profitiert zu haben und bei eine Klageabweisung ihren eigenen freien Tag in Gefahr sahen. Wer sägt schon an dem eigenen Ast auf welchem er sitzt?

Das Bundesarbeitsgericht (Sitz in Erfurt, ca. 260 KM von Frankfurt am Main entfernt), offensichtlich ohne jegliche Beeinflussung durch die örtlichen Traditionen in Frankfurt am Main, sah dies jedoch völlig anders (BAG, Urteil vom 12. Januar 1994 – 5 AZR 41/93)! Es kann wohl unterstellt werden, dass die Richter in Erfurt seit jeher am Pfingstdienstag ganztätig zu arbeiten pflegen.

Die Entscheidung

Entgegen seiner Vorinstanzen in Frankfurt vermochte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt weder einen Anspruch aus betrieblicher Übung erkennen, noch besonderes Mitleid für die lokalen Traditionen aufbringen (Mitleidsbekunden würden sich im Gesetz ja auch ohnehin nicht finden). Das Gericht entschied, dass das Verhalten des Arbeitgebers in der Vergangenheit keinen vertraglichen Anspruch aus betrieblicher Übung auslösen konnte. Denn für den Arbeitgeber sprach letztendlich, dass er in der Vergangenheit stets zu erkennen gab, dass er die Freistellung zum Wäldchestag nur für das aktuelle Jahr erteilte. Eine Zusicherung für die Zukunft war in den entsprechenden Informationen des Arbeitgebers niemals eindeutig enthalten.

 „Schon die Tatsache, dass der Arbeitgeber jedes Jahr von neuem durch Aushang oder Bekanntgabe die Arbeitsbefreiung als solche eingehend regelte und dabei klarstellte, dass die Vergünstigung „wie in den Vorjahren“ bzw. „auch in diesem Jahr“ gewährt werden solle – soweit die betrieblichen Belange dies zuließen – spricht erkennbar dafür, dass die Freistellungen nicht ohne jede Einschränkung auf Dauer gewährt werden sollten.“

BAG, Urteil vom 12. Januar 1994 – 5 AZR 41/93

„Die Arbeitnehmer des Arbeitgebers konnten aus diesen immer von neuem getroffenen, sehr differenzierten Verlautbarungen nicht entnehmen, dass sie unterschiedslos und für alle Zukunft mit einer Arbeitsbefreiung an den Karnevalstagen und am Wäldchestag rechnen durften.“

BAG, Urteil vom 12. Januar 1994 – 5 AZR 41/93

Eine betriebliche Übung liegt vor, wenn der Arbeitgeber durch regelmäßige Wiederholung bei seinen Arbeitnehmern den Anschein setzt, Leistungen oder Vergünstigungen dauerhaft gewähren zu wollen. Durch dieses Verhalten kann auch für die Zukunft ein einklagbarer Anspruch entstehen. Das Bundesarbeitsgericht konnte jedoch nicht erkennen, dass durch das Verhalten des Arbeitgebers ein solcher Anschein gesetzt wurde. Der klagende Arbeitnehmer hatte nicht davon ausgehen können, dass er für alle Zukunft am Wäldchestag oder an Fastnacht einen freien halben Tag erhalte. Die Klage des Arbeitnehmers wurde somit in der dritten Instanz abgewiesen.

Für die Praxis

Wenn mit Traditionen gebrochen wird, ist die meist schmerzhaft. Besonders schmerzhaft ist es in zwei Instanzen zu gewinnen, um dann in der dritten Instanz eine völlig gegenteilige Entscheidung zu erhalten. Das Bundesarbeitsgericht verlangt dass Vorbehalte gegen eine dauerhafte Gewährung von Leistungen und Vergünstigungen klar und unmissverständlich kundgetan werden, damit ein Anspruch durch betriebliche Übung verhindert wird. Wann ein Vorbehalt jedoch klar und unmissverständlich kundgetan wurde, entscheidet das Bundesarbeitsgericht natürlich selbst. Im vorliegenden Fall hätte man daher auch gut vertreten können, dass der Vorbehalt nicht klar und unmissverständlich kundgetan wurde. Eine Frankfurter Tradition wäre möglicherweise bis heute erhalten geblieben. Heute erinnern sich daher wohl nur noch wenige Frankfurter an die Zeiten, als es am Pfingstdienstag einen halben Tag frei gab und die Zeil (sehr große Einkaufsstraße in Frankfurt am Main) verwaist war.

Oder wie es Stoltze ausdrückte:

Die Zeil leiht da, wie gottverlorn