Verhaltenskündigung ohne Beweise

 

Hat der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung begangen, droht ihm die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Vorwurf bewiesen wurde. In vielen Fällen kann eine schwerwiegende Pflichtverletzung aber nur schwer nachgewiesen werden, z. B. ständige Kassendifferenzen. In diesem Fällen kann dennoch eine Kündigung drohen. Wenn die Verdachtsmoment gegen einen Arbeitnehmer erdrückend sind und das Vertrauensverhältnis hierdurch schwer beschädigt wurde, kann eine sog. Verdachtskündigung ausgesprochen werden.

Ein außergewöhnlichen Fall, musste hierzu nun das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden (BAG Urt. v. 25.04.2018, Az.: 2 AZR 611/17)

 

Was war geschehen:

 

Die klagende Arbeitnehmerin war als Kassiererin in einer Bankfiliale einer Sparkasse beschäftigt. Sie bestellte am 27.05.2015 bei der Deutschen Bundesbank Bargeld in Höhe von EUR 150.000,00. Am 28.05.2015 übernahmen zwei Mitarbeiter einer Wachschutzgesellschaft den Geldtransport. Um 09.41 Uhr quittierte die Klägerin den Empfang der mittels Plombe verschlossenen Geldbehälter und öffnete diesen alleine. Ca. 20 Minuten nach der Anlieferung rief die Klägerin einen Kollegen herbei und teilte ihm mit, sie habe in dem Geldbehälter lediglich Babynahrung und Waschmittel vorgefunden.

In den sich anschließenden polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen wurden bei der Klägerin 3.300,00 EUR zu Hause gefunden. In ihrem Bankschließfach befanden sich in Umschlägen insgesamt 37.000,00 EUR. Die Briefumschläge waren beschriftet mit „Mamma“ und dem Namen der Tochter. Im Zeitraum von 8 Monaten nach dem Vorfall besuchte die Klägerin mehrfach ihr Bankschließfach auf. Im gleichen Zeitraum kam es zu Gutschriften auf dem Konto der Klägerin in Höhe von ca. 33.000,00 EUR.

Der Arbeitgeber hörte die Klägerin 11 Monate nach dem Vorfall in einem Personalgespräch an. Der Inhalt des Gesprächs ist nicht genau bekannt. Mit Schreiben vom 19.04.2016 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit einer Kündigungsschutzklage.

 

Warum wurde Klage erhoben?

 

Die Klägerin ist der Meinung, dass die Kündigung unwirksam sei. Es sei nicht bewiesen, dass sie das Geld veruntreut habe. Das Geld aus dem Schließfach habe sie von ihrer Mutter erhalten. Sie sei auch in dem Personalgespräch nicht darüber unterrichtet worden, dass man ihr unterstelle, das Geld genommen zu haben.

Der Arbeitgeber ist der Meinung, die Kündigung sei wirksam. Auch wenn der Vorwurf nicht bewiesen sei, spreche alles dafür, dass die Klägerin das Geld genommen habe. Diesen Vorwurf habe die Klägerin nicht entkräften können. Daher sei das Vertrauensverhältnis zur Klägerin zerstört. Deshalb sei die Kündigung rechtmäßig. Man hatte die Klägerin auch ordnungsgemäß zu dem gegen Sie gerichteten Verdacht angehört.

Der Arbeitgeber macht also von seinem Recht eine Verdachtskündigung aussprechen zu dürfen, Gebrauch.

 

Was ist eine Verdachtskündigung?

 

Ein Arbeitsverhältnis kann gekündigt werden, wenn aufgrund eines dringenden Tatverdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung das unabdingbare Vertrauen zu dem Arbeitnehmer verloren gegangen ist.

Hierbei reicht aber nicht jeder einfachste Verdacht aus. Der Verdacht muss dringend, also erdrückend sein. Vermutungen reichen alleine nicht aus.

Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhaltes ergreifen. Hierzu gehört als eine wichtige Voraussetzung einer Verdachtskündigung die ordnungsgemäße Anhörung des Arbeitnehmers.

 

Ohne ordnungsgemäße Anhörung des Arbeitnehmers ist jede Verdachtskündigung unwirksam.

 

Es reicht nicht aus, den Arbeitnehmer im Rahmen der Anhörung mit einer allgemein gehaltenen Vermutung zu konfrontieren. Dem Arbeitnehmer muss der Vorwurf und der Sachverhalt so konkret erklärt werden, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, zu welchen Umständen er genau angehört wird und zu welchem Sachverhalt er Stellung nehmen soll.

Oft werden Arbeitnehmer im Rahmen der Anhörung nicht konkret genug auf die aufklärungsbedürftigen Tatsachen hingewiesen. Viele Arbeitgeber erhoffen sich möglicherweise hierdurch neue, belastende Tatsachen in Erfahrung bringen zu können. Hierbei wird jedoch eine wichtige Voraussetzung einer Verdachtskündigung vom Arbeitgeber riskiert. Denn in der Folge wäre die Kündigung unwirksam.

 

Für die Praxis

 

Beim Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung muss zwingend eine Frist von 2 Wochen eingehalten werden. Nachdem dem Arbeitgeber alle erheblichen Umstände bekannt sind, muss die Kündigung binnen 2 Wochen ausgesprochen werden. Eine Kündigung nach Ablauf der Frist ist nicht mehr möglich.

Im vorliegen Fall wurde die Kündigung erst 11 Monate nach dem Vorfall ausgesprochen. Dennoch konnte die 2 – Wochen Frist gewahrt werden. Denn der Arbeitgeber hatte erst nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen und nach der Anhörung des Arbeitnehmers über alle erheblichen kündigungsrelevanten Umstände Kenntnis erlangt hatte. Erst ab diesem Zeitpunkt beginnt die Frist zu laufen. Hier ist Vorsicht geboten: Wann vollständige Kenntnis vorlag, ist häufig Gegenstand des Streits.