Streik

Streik! – Muss ich zur Arbeit?

Wenn Bus und Bahn wegen eines Streikes stillstehen oder auch wenn wegen eines Wetterchaos die Anfahrt zur Arbeit fast unmöglich wird, stellt sich regelmäßig die Frage, ob man aufgrund der widrigen Umstände verpflichtet ist, zur Arbeit zu erscheinen.

Wegerisiko vs. Betriebsrisiko

Im Arbeitsrecht gibt es zwei Risiken, die eindeutig einer Partei des Arbeitsverhältnisses zugeordnet sind: Diese Risiken sind das Wegerisiko und das Betriebsrisiko.

Betriebsrisiko

Der Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko. Dies bedeutet, dass es allein Sache des Arbeitgebers ist, ob er seine Angestellten beschäftigen kann oder nicht. Kann er seine Angestellten nicht beschäftigen (beispielsweise weil es keine Aufträge mehr gibt oder eine Maschine kaputt ist) muss der Arbeitgeber seine Angestellten dennoch weiter bezahlen. Auch wenn seine Angestellten „nur herumstehen und Däumschen drehen“. Solange seine Arbeitnehmer zur Arbeit bereit sind, muss er sie bezahlen. Der Arbeitgeber trägt das volle Risiko für die Dinge, die in seinem Betrieb passieren.

Wegerisiko

Die Arbeitnehmer hingegen tragen ganz alleine das Wegerisiko oder Anfahrtsrisiko. Den Arbeitgeber braucht es nicht zu interessieren, wie seine Arbeitnehmer zur Arbeit erscheinen. Können Arbeitnehmer den Betrieb nicht erreichen (beispielsweise weil das Auto liegen geblieben ist oder Schneechaos die Anfahrt erschwert) erhalten sie auch keinen Lohn. Unter Umständen riskieren Arbeitnehmer zudem eine Abmahnung oder auch eine Kündigung, wenn sie nicht zur Arbeit erscheinen. Es ist ganz allein Sache der Arbeitnehmer, wie sie zum Betrieb kommen. Überspitzt: Arbeitnehmer müssen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um rechtzeitig im Betrieb zu erscheinen.

Beispiel: Streik

Streiks im öffentlichen Nahverkehr führen dazu, dass Arbeitnehmer in der Regel ganz erhebliche Probleme haben, ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Den Arbeitgeber braucht dies aber nicht zu interessieren. Denn das Wegerisiko trägt der Arbeitnehmer ganz allein:

Auch wenn kein Bus und kein Zug mehr fährt, kann der Arbeitgeber von seinen Angestellten verlangen, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen.

Es obliegt damit ganz alleine dem Arbeitnehmer, wie er zur Arbeit kommen kann. Arbeitnehmer müssen zur Not dann viel Zeit einplanen und schon sehr früh losfahren oder auf andere Verkehrsmittel umsteigen (z.B. Fahrrad, Auto, Fahrgemeinschaften). Unter Umständen muss ein Arbeitnehmer auch mal einen Tag früher anfahren und in einem Hotel übernachten. Dies würde jedenfalls dann gelten, wenn die Hotelkosten im Vergleich zu dem Tagesverdienst relativ gering wären.

In der Regel besteht also weiter die vertragliche Pflicht zur Arbeit zu erscheinen. Und wer nicht kommt, begeht eine Pflichtverletzung, die auch abgemahnt werden kann oder im Wiederholungsfall zur Kündigung führen kann.

Beispiel: Wetter

Auch bei Unwetter trägt der Arbeitnehmer das Wegerisiko. Den Arbeitgeber braucht es auch bei Schnee, Eis oder Sturm nicht zu interessieren, wie seine Arbeitnehmer zur Arbeit kommen. Aus dem Arbeitsvertrag besteht auch bei Unwettern weiter die Pflicht zur Arbeit zu erscheinen. Wer nicht erscheint, begeht eine Pflichtverletzung.

Ausnahmen bei sog. „Unmöglichkeit“

Nur für absoluten Ausnahmefälle, in denen es wirklich „Unmöglich“ geworden ist zur Arbeit zu erscheinen, erlischt die Pflicht zum Erscheinen und der Arbeitnehmer begeht dann auch keine Pflichtverletzung mehr.

Das Gesetz sieht hierfür in § 275 BGB den Tatbestand des „Ausschluss der Leistungspflicht“ vor.

Doch aufgepasst: Lohn gibt es auch in solchen Fällen nicht. Aber es gibt wenigstens auch keine Abmahnung oder Kündigung, wenn wenigstens frühzeitig Bescheid gegeben wurde.

Fall der Unmöglichkeit

Nur wenn die Anfahrt zur Arbeit für den Arbeitnehmer oder auch für jeden anderen Unmöglich geworden ist, muss der Arbeitnehmer nicht erscheinen. Unmöglich ist dabei wörtlich zu nehmen. Da man sich bei einem angekündigten Streik aber vorbereiten kann und beispielsweise schon einen Tag vorher anfahren kann, wäre die Anfahrt zur Arbeit nicht „unmöglich“. Denn man kommt ja noch zur Arbeit, wenn auch mit erheblichen Schwierigkeiten. Unmöglich wäre die Anfahrt beispielsweise nur, wenn ein Erdbeben kurzfristig die einzige Brücke zur Arbeit zerstören würde und es keine Möglichkeit gibt, die Arbeitsstätte zu erreichen. Selbst „schwimmen“ müsste dann aber auch ausgeschlossen sein.

Fall der Unverhältnismäßig

Soweit die Anfahrt zur Arbeit einen Aufwand erfordert, der „unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben“ in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Arbeitgebers steht, könnte der Arbeitnehmer ebenfalls seine Anfahrt verweigern. Ein Missverhältnis wäre es wahrscheinlich, wenn Hotelkosten höher wären, als der Tageslohn.

Doch Vorsicht: Es handelt sich bei der Vorschrift um einen absoluten Ausnahmetatbestand. Die Hürden sind also extrem hoch:

Nicht jede Unannehmlichkeit ist gleich eine Unverhältnismäßigkeit.

Bei einem Streik dürfte es viele, auch unangenehme, Möglichkeiten geben, doch noch zur Arbeit zu erscheinen (Arbeitnehmer könnten sehr früh losfahren und Fahrgemeinschaften bilden, es könnte auch auf das Rad umgestiegen werden etc.). Die Anfahrt muss wirklich mehr als nur unangenehm geworden sein.

Zwischenergebnis

Ein Streik im öffentlichen Nahverkehr führt in der Regel nicht dazu, das Arbeitnehmer zu Hause bleiben dürfen. Die Anfahrt wird durch den Streik meist nur unangenehmer, aber nicht unmöglich. Arbeitnehmer tragen das Wegerisiko ganz allein. Mit anderen Worten: Arbeitnehmer müssen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen.

Folgen des Nichterscheinens

Wenn Arbeitnehmer nicht oder nicht rechtzeitig zur Arbeit erscheinen und vorher auch nicht alles versucht haben um doch noch rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, könnte eine Abmahnung ausgesprochen werden. Im Wiederholungsfalle könnte auch eine Kündigung ausgesprochen werden. Lohn erhalten Arbeitnehmer für den Fehlt zudem ebenfalls nicht. Nur in extremen Ausnahmefällen, also bei Unmöglichkeit, kann keine Abmahnung oder eine Kündigung ausgesprochen werden. Lohn gibt es aber dennoch nicht.

Lösungen

Arbeitnehmer sollten frühzeitig Kontakt mit ihren Arbeitgebern aufnehmen und eine gemeinsame Lösung finden.

Naheliegend wäre es, für den Streiktag einen Tag Urlaub zu nehmen. Ein Anspruch hierauf gibt es zwar nicht, aber Urlaub wäre eine naheliegende einvernehmliche Lösung.

Falls es keine Urlaubstage mehr gibt, käme noch die einvernehmliche Freistellung ohne Lohnzahlung in Betracht. Auch dies könnte eine Möglichkeit sein, um einen Streiktag zu überwinden. Aber auch hier braucht es eine Zustimmung von beiden Seiten.

Wenn der Arbeitgeber zustimmt, könnte auch, soweit es die Möglichkeit gibt, ein Home-Office-Tag eingelegt werden. Auch dies sollte mit Arbeitgeber erörtert werden.

Wichtig ist, dass eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber erfolgt um eine gemeinsame Lösung zu finden. Sollte eine Lösung aber nicht möglich sein, bleibt dem Arbeitnehmer nichts anderes übrig, als zur Arbeit zu erscheinen. Bei überschaubaren Hotelkosten wäre im Zweifel sogar eine Anreise ein Tag vorher mit Hotelaufenthalt erforderlich.  Überhaupt keine gute Idee wäre es übrigens, sich „krankschreiben“ zu lassen. Hier würde eine sofortige fristlose Kündigung drohen.