Fristlose Kündigung für einen Kuss!

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Grund für eine fristlose Kündigung. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Köln am 01.04.2021 (Aktenzeichen: 8 Sa 798/20)

Was war geschehen?

Der Kläger war bei dem beklagten Unternehmen als Manager beschäftigt. Die Zeugin war bei der Beklagten ebenfalls beschäftigt. Der Kläger war der Vorgesetzte der Zeugin. Sie war zuvor bereits als Werksstudentin beschäftigt. Während des Werksstudiums fasste der Kläger die Zeugin jedenfalls einmal – während diese auf einem Stuhl saß – von hinten an die Schultern. Die Zeugin sagte dem Kläger, dass er das lassen soll.

Während einer Teamklausur soll es dann zu einem ungewollten Annäherungsversuch des Klägers vor dem Hotelzimmer der Zeugin gekommen sein. Der Klägerhabe versuchte diese zu bedrängen und habe sie dabei geküsst, während die Zeugin den Kläger versuchte weg zustoßen.

Der Kläger bestritt den Vorfall. Dem Gericht lag allein ein Nachrichtenverlauf zwischen dem Kläger und der Zeugin vor. Darin ist zu lesen, dass sich der Kläger mehrfach bei der Zeugin entschuldigt hatte. Der Grund der Entschuldigung ist nicht in dem Nachrichtenverlauf enthalten.

Vor Gericht behauptete der Kläger, es sei zu einer einvernehmlichen Umarmung zwischen ihm und der Zeugin gekommen. Dabei habe der Kläger unbeabsichtigt beim Vorbeistreifen mit den Lippen den Mundwinkel der Zeugin berührt. An der Zimmertür sei der Kläger nicht gewesen.


Der Kläger wurde von der Beklagten wegen dieses Vorfalles angehört. In der Anhörung bestätigte der Kläger zunächst den Vorfall. Er relativierte diesen jedoch im Laufe der Anhörung wieder. Bei der Anhörung waren weitere Zeugen anwesend. Der Kläger meinte, dass er die Zeugin ja schließlich nicht vergewaltigt habe und dazu gehörten auch immer zwei.

Die beklagte Arbeitgeberin war aufgrund der Schilderungen davon überzeugt, das der Kläger die Zeugin sexuell belästigt hatte und sprach nach Anhörung des Betriebsrates eine fristlose Kündigung aus. Hiergegen wehrte sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage.

Wie entschied das Gericht?

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Kündigungsschutzklage ab! Nach Überzeugung der Gerichte war die Kündigung der beklagten Arbeitgeberin rechtmäßig. Beide Gericht waren aufgrund der Zeugenaussagen und des Verhaltens des Klägers davon überzeugt, dass der Kläger die Zeugin geküsst, und damit sexuell belästigt hatte.

Das Verhalten des Klägers rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts eine fristlose Kündigung nach § 626 BGB.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

§ 626 BGB – Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

Wenn Tatsachen vorliegen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen, darf nach dem Gesetz eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden. So liegt der Fall auch hier. Das Gericht ist der Meinung, dass der Kuss der Zeugin eine sexuelle Belästigung darstellt. Das Verhalten des Klägers macht eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar. Daher durfte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos kündigen.

„Wer auf einer dienstlich veranlassten Reise eine Arbeitskollegin gegen ihren Willen zu küssen versucht und küsst, verletzt – unabhängig von der Strafbarkeit der Tat wegen sexueller Belästigung – seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Absatz 2 BGB), in erheblicher Weise. Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.“

Landesarbeitsgericht Köln, 8 Sa 798/20

Eine Abmahnung war nicht erforderlich. Nach der Entscheidung der Gerichte handelte es sich bei dem Vorfall um eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.

Der rechtliche Hintergrund

Der Fall ist kompliziert und kann hier nur stark verkürzt wiedergegeben werden. Allein der Sachverhalt umfasst nahezu vier Seiten. Häufig kommt es bei Fällen wegen sexueller Belästigung auf viele Einzelheiten an. Es handelt sich daher in der Regel immer um Einzellfallentscheidungen. Allein die Beweislage ist teilweise in solchen Fällen äußerst schwierig. In der Tendenz ist aber festzustellen, dass die Gerichte sexuelle Belästigungen nicht akzeptieren und auch ohne Abmahnung eine sofortige fristlose Kündigung akzeptieren.

Häufig ist in Fällen verhaltensbedingter Kündigungen zwischen einer Tatkündigung und einer Verdachtskündigung zu unterscheiden. Bei der Tatkündigung ist der Tatvorgang nach Ansicht des Arbeitgebers bewiesen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber notfalls vor Gericht die Tat beweisen. Bei der Verdachtskündigung ist die Tat nach Ansicht des Arbeitgebers nicht bewiesen. Es besteht aber nach Ansicht des Arbeitgebers ein dringender Verdacht dafür, dass der Arbeitnehmer die Tat begangen hat. Die Kündigung wird daher wegen des verlorenen Vertrauens ausgesprochen und nicht weil die Tat aus Sich des Arbeitgebers nachgewiesen ist. Allerdings reicht nicht jeder Verdacht aus, um eine Verdachtskündigung auszusprechen. Zudem müssen weitere Voraussetzungen wie eine ordnungsgemäße Anhörung vorliegen. Die Verdachtskündigung erfordert einige formelle Voraussetzungen und kann allein wegen formeller Fehler bereits unwirksam sein.

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber eine Tatkündigung ausgesprochen worden. Der Arbeitgeber musste daher die Gerichte von dem vorliegen der sexuellen Belästigung überzeugen, was er auch schaffte. Der klagende Arbeitnehmer versuchte in dem Verfahren offensichtlich noch die formellen Voraussetzungen einer Verdachtskündigung anzugreifen, insbesondere eine fehlerhafte Anhörung. Da jedoch eine Tatkündigung ausgesprochen wurde, konnte seine hierauf gestützte Verteidigung keinen Erfolg haben.

Damit verlor der klagende Arbeitnehmer den Rechtsstreit

Ansprüche von ArbeitnehmerInnen bei sexueller Belästigung

Arbeitgeber sollten Vorfälle von sexueller Belästigungen ernst nehmen und ggf. handeln. Denn die betroffenen ArbeitnehmerInnen haben hierauf einen gesetzlichen Anspruch:

Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

§ 12 Abs. 3 AGG – Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers

ArbeitnehmerInnen können also verlangen, dass der Arbeitgeber handelt. Dies kann soweit gehen, dass vom Arbeitgeber verlangt werden kann, dass er den störenden ArbeitnehmerInn kündigt. Dies kann sogar gerichtlich durchgesetzt werden. Zudem bestehen Ansprüche auf Schadensersatz gegen den Arbeitgeber und der betroffene Arbeitnehmer kann bis zur Beseitigung der Belästigungen seine Arbeit einstellen, ohne seinen Lohnanspruch zu verlieren.