Die offene Videoüberwachung im Prozess

 

Eine Vielzahl von Arbeitsplätzen wird durch offene Kamerasysteme überwacht. Im Gegensatz zur verdeckten, also heimlichen, Videoüberwachung ist die offene Videoüberwachung erkennbar und den meisten Arbeitnehmern auch bekannt. Insbesondere im Kassenbereich oder in Warenlagern erfolgt die Videoüberwachung zum Schutz des Eigentums des Arbeitgebers. Doch dürfen diese Aufnahmen auch in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitnehmer verwendet werden um dessen Fehlverhalten zu beweisen. Diese Frage musste das Bundesarbeitsgericht beantworten (Az.: 2 AZR 133/18).

 

Was war geschehen?

Die klagende Arbeitnehmerin arbeitete seit 2006 bei dem beklagten Arbeitgeber in einem Tabak- und Zeitschriftenhandel. In dem Laden waren Kameras offen zum Schutz des Eigentums des Arbeitgebers vor Straftaten installiert. Als der Arbeitgeber einen Schwund bei den Tabakprodukten bemerkte, wertete er die gespeicherten Aufzeichnungen der letzten 6 Monate auf. Hierbei stellte der Arbeitgeber fest, dass seine Arbeitnehmerin Warenverkäufe nicht ordnungsgemäß registrierte und die Einnahmen hieraus nicht ordnungsgemäß in die Kasse legt. Die Aufzeichnungen legten nahe, dass die Arbeitnehmerin gezielt die Einnahmen aus Warenverkäufen in Höhe von 44,75 € in die eigene Tasche steckte und damit den Kaufpreis unterschlagen hatte.

Die Arbeitnehmerin wurde hierzu angehört und antwortete „nichts gemacht“ zu haben. Der Arbeitgeber kündigte hierauf  das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. In dem Kündigungsschutzverfahren wollte der Arbeitgeber diese Aufnahmen als Beweis für das Verhalten verwenden. Die Arbeitnehmerin war der Meinung, diese seien nicht verwertbar, da die Aufnahmen unter Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgten.

 

Probleme des Falles

Problematisch in diesem Fall war, dass der Arbeitgeber die Videoaufnahmen nicht sofort auswertete. Erst als Unregelmäßigkeiten auftraten, wertete der Arbeitgeber die Videoaufnahmen nach vielen Monaten aus. Nur hierdurch konnte der Arbeitgeber die Vorfälle 6 Monate später entdecken und nachvollziehen. Es stellte sich damit die Frage, ob dieses Vorgehen mit dem Datenschutz vereinbar ist und ob die Aufnahmen durch das Gericht verwertet werden durften.  Das Gericht musste prüfen, ob die Aufnahmen rechtmäßig waren und der Arbeitgeber gegen seine Löschpflichten verstoßen hatte. Zudem prüfte das Gericht, ob der Fall nach Einführung der Datenschutzgrundverordnung anders zu werten sei.

 

Wie entschied das Gericht?

In seiner Entscheidung erklärte das Bundesarbeitsgericht die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen für zulässig. Das Gericht erklärte hierzu prägnant:

 

„Datenschutz kein Tatenschutz“.

 

Die Aufnahmen aus der offenen Videoüberwachung standen im Einklang mit dem Datenschutzrecht. Denn das Datenschutzrecht erlaubt „Videoaufnahmen„zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke“. Auch nach der Datenschutzgrundverordnung ist eine solche Videoaufnahme zulässig. Denn Zweck der Aufnahme ist der Schutz des Eigentums des Arbeitgebers.

Es war auch nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die Aufnahmen zeitnah auswertete. Zwar hätte der Arbeitgeber aufgrund des Persönlichkeitsrechtes der Arbeitnehmerin alle Videosequenzen ohne ein verdächtiges Verhalten zeitnah löschen müssen. Hierauf hat der Arbeitnehmer auch einen Rechtsanspruch. Allerdings werden durch das rechtswidrige unterlassene Löschen nicht diejenigen Sequenzen „infiziert“, die tatsächlich ein verdächtiges Verhalten zeigen. Das Gericht könne die streitigen Videosequenzen daher auf jeden Fall verwerten.

 

Der rechtmäßig gefilmte Vorsatztäter ist nicht schutzwürdig, was die Aufdeckung und Verfolgung seiner Tat anbelangt. Er wird dies auch nicht durch Zeitablauf.

 

Für die Praxis:

Die offene Videoüberwachung unterliegt weniger strengen Anforderungen als die verdeckte Videoüberwachung. Die offene Videoüberwachung muss einen legitimen Zweck verfolgen. Ein solcher ist der Schutz des Eigentums des Arbeitgebers. Es ist jedoch erforderlich, dass eine abstrakte Gefahr für eine Eigentumsverletzung vorliegt. Dies dürfte bei Barkassen und Verkaufsräumen mit Publikumsverkehrs stets der Fall sein.

Eine lange Aufbewahrung von Videoaufnahmen ohne ein verdächtigtes Verhalten verstößt gegen das Datenschutzrecht. Arbeitnehmer können die Löschung solcher Aufnahmen verlangen. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Löschpflicht, bleiben jedoch die Sequenzen mit einem verdächtigten Verhalten auch weiter gerichtsverwertbar.

Es ist unter keinen Umständen erlaubt, Videoaufnahmen (mit oder ohne verdächtigtes Verhalten) auf Vorrat zu speichern, um dem Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt hiermit unter Druck setzen zu können. Diese Aufnahmen dürften nicht gerichtsverwertbar sein.

Eine offene Videoüberwachung kann auch dann unzulässig werden, wenn durch sie ein Überwachungs- oder Leistungsdruck erzeugt wird.

Eine Kündigung kann eine Tatkündigung oder eine Verdachtskündigung sein. Eine Verdachtskündigung kann erfolgen, auch wenn die Tat nicht bewiesen ist. Für ihre Wirksamkeit ist jedoch eine korrekte Anhörung des Arbeitnehmers zu den Verdachtsvorfällen erforderlich. Der Fall wurde daher zur erneuten Entscheidungen an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.