Überstunden

Der Überstundenprozess

In meinem Beitrag vom 18.08.2018 hatte ich bereits über die Schwierigkeiten bei der Darlegung von Überstunden und Überstunden allgemein berichtet. Wer Überstunden vor dem Arbeitsgericht geltend machen will, muss jedoch einige Voraussetzungen beachten:

Zwei Stufen

Nach der überwiegenden Auffassung läuft ein Überstundenprozess vor dem Arbeitsgericht in zwei Stufen ab. Hierbei ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Überstunden trägt. Der Arbeitnehmer muss also nicht nur jede Überstunde genau erklären. Er muss auch Beweis erbringen, wenn der Arbeitgeber die Überstunden bestreitet. Dies geschieht in der ersten Stufe des Überstundenprozesses:

Erste Stufe

Vom Arbeitnehmer ist vorzutragen, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er über die normale Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat. Zudem muss der Arbeitnehmer auch erklären, dass er die Bezugszeiträume ausgeschöpft hat.

Ist beispielsweise eine monatliche Arbeitszeit von 160 Stunden vereinbart, muss er in diesem Bezugszeitraum auch zunächst mindestens 160 Stunden gearbeitet haben. Erst danach können rechnerisch überhaupt erst Überstunden angefallen sein. Einfacher ist es natürlich, wenn eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden vereinbart wurde. Als Bezugszeitraum gilt dann jeder einzelne Tag.

Die Bestimmung des Bezugszeitraum ist äußerst relevant und entscheidet darüber, ob Überstunden angefallen sind oder nicht. Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht die Unterschiede bei den Bezugszeiträumen:

In der ersten Variante sind in einer Woche 4 Überstunden angefallen. Das der Arbeitgeber montags und freitags die vereinbarten 8 Stunden nicht abgerufen hat, ist sein Problem (Annahmeverzugsrisiko). In der zweiten Variante sind keine Überstunden angefallen. Denn es war eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart. Der Arbeitnehmer hat auch insgesamt 40 Stunden gearbeitet.

Vereinbarung: Tägliche Arbeitszeit 8 StundeVereinbarung: Wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden
Montag66
Dienstag1010
Mittwoch88
Donnerstag1010
Freitag66
Anzahl der Überstunden40

Zu beachten ist, dass in der zweiten Variante sog. „Arbeit auf Abruf“ gem. § 12 TzBfG vereinbart worden sein könnte. Hier sind dann weitere gesetzliche Anforderungen zu beachten.

Zweite Stufe

Hat der Arbeitnehmer die erste Stufe überwunden, muss noch die zweite Stufe überwunden werden. Auf der zweiten Stufe muss der Arbeitnehmer nun erklären, dass die Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst wurden. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Überstunden angeordnet, gebilligt oder geduldet hat oder die Überstunden notwendig waren, um die übliche Arbeit erledigen zu können.

Wenn der Arbeitnehmer also ohne Kenntnis und Wissen des Arbeitgebers länger gearbeitet hat, kann keine Vergütung für Überstunden beansprucht werden. Der Arbeitnehmer muss also zur Not beweisen, dass die Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst werden. In äußerst schwieriges Fahrwasser geraten Arbeitnehmer mit der Behauptung, dass die zu erledigende Arbeit überhaupt nicht in der normalen Arbeitszeit erledigt werden konnte und daher Überstunden von vornherein notwendig waren. Arbeitnehmer können davon ausgehen, dass diese Behauptung bestritten wird. In der Praxis wird es daher meist sehr schwierig, das Gericht von dem Gegenteil zu überzeugen.

Beweisfragen

Grundsätzlich muss jede Partei die für sie rechtlich günstigen Tatbestände beweisen. Da Überstunden für den Arbeitnehmer günstig sind (denn er erhält hierdurch ggf. Lohn) muss er den Beweis für seine Überstunden erbringen.

Für Arbeitnehmer entsteht hierdurch häufig eine sehr ungünstige Ausgangslage, da sie Überstunden nur selten minutiös notiert haben. Das Bundesarbeitsgericht hat daher für Arbeitgeber die sog. sekundäre Darlegungslast eingeführt. Hierdurch können Arbeitgeber häufig den Vortrag der Arbeitnehmer nicht mehr pauschal bestreiten. Arbeitgeber müssen vielmehr im Einzelnen erklären, warum die von dem Arbeitnehmer behaupteten Überstunden nicht angefallen sein können. Das Bundesarbeitsgericht begründet dies mit der größeren Sachnähe und Kenntnis des Arbeitgebers.

Richtig problematisch wird es für Arbeitgeber in diesem Zusammenhang, wenn eine Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit besteht. Dass ist etwa für Beschäftigte im Straßentransport der Fall. Da der Arbeitgeber gesetzlich zur Aufzeichnung der Arbeitszeit verpflichtet ist, kann er im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast die Behauptungen des Arbeitnehmers nicht mehr ohne weiteres bestreiten. Tatsächlich ergibt sich sogar bei einer Aufzeichnungspflicht für Arbeitnehmer unter Umständen sogar die Möglichkeit die Herausgabe der aufgezeichneten Daten zu verlangen. Damit könnte dann sogar eine fehlender Aufzeichnung der Arbeitszeiten durch den Arbeitnehmer ersetzt werden. Logischerweise wird diese Auskunft dann im Rahmen einer sog. Stufenklage geltend gemacht.

Weiteres Ungemach durch den EuGH?

Weiteres Ungemach für Arbeitgeber könnte zudem noch aus Richtung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) drohen. Der EuGH vertritt die Ansicht, dass Arbeitgeber ein System zur Messung der Arbeitszeit bereitstellen müssen (sog. CCOO-Urteil vom 14.05.2019: Az.: C-55/18). Aufgrund der Arbeitszeitrichtlinie muss eine tägliche Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum eingehalten werden. Um die Einhaltung der Arbeitszeitrichtlinie sicherzustellen, verlangt der EuGH die Bereitsstellung eines Systems zu Messung der Arbeitszeit. Mit anderen Worten: Jeder Arbeitgeber muss die Arbeitszeit erfassen. Zwar sind die Folgen dieser Rechtsprechung noch nicht gänzlich geklärt. Es gibt aber bereits Stimmen, die eine fehlender Arbeitszeiterfassung nachteilig für den Arbeitgeber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast auslegen wollen. Mit anderen Worten: Fehlt eine Arbeitszeiterfassung, kann der Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers nicht mehr einfach bestreiten. Für Arbeitnehmer würde dies eine erhebliche Erleichterung im Rahmen des Überstundenprozesses bedeuten.

Für die Praxis

Arbeitnehmer werden einen Überstundenprozess verlieren, wenn der Vortrag zu den behaupten Überstunden zu ungenau ist. Hilfreich könnte dann nur noch eine vorhandene oder aber auch eine fehlende Arbeitszeiterfassung sein.

Arbeitgeber, die schlicht die behaupteten Überstunden bestreiten, könnten Gefahr laufen, dass das Gericht dies nicht akzeptiert. Im Urteil würde der Anspruch des Arbeitsnehmers dann plötzlich zugesprochen werden. In der Begründen würden Arbeitgeber dann lesen müssen, dass es an einem substantiierten Bestreiten fehlte, da der Arbeitgeber seine sekundäre Darlegungslast übersehen hat. Auch in der Berufung wäre dies dann möglicherweise nicht mehr zu korrigieren.