Beweiskraft Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (im Folgenden AU) kann ein Arbeitnehmer seine Erkrankung beweisen. Die Hürde liegen hoch, wenn Arbeitgeber den Beweiswert einer AU anzweifeln wollen. Wenn Arbeitgeber der AU nicht glauben und die Lohnzahlung einstellen, landen viele Streitigkeiten vor den Arbeitsgerichten. Wenn der Beweiswert einer AU von den Arbeitgebern nicht erschüttert werden unterliegen Arbeitgeber in diesen Verfahren häufig.

Was ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist eine Privaturkunde im Sinne von § 416 ZPO. Diese Vorschrift regelt:

Privaturkunden begründen, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sind, vollen Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind.

§ 416 ZPO

Durch die AU erklärt der Arzt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für einen bestimmten Zeitraum. Aufgrund der vorgenannten Norm steht nun zunächst fest, dass ein Arzt die Arbeitsunfähigkeit geprüft und festgestellt hat.

Wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauert, sind Arbeitnehmer nach § 5 des Entgeltfortzahlungsgesetzes zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer verpflichtet. Eine AU muss daher spätestens nach drei Tagen vorgelegt werden. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann nach einer Abmahnung eine verhaltensbedingte Kündigung zur Folge haben!

Welche rechtliche Wirkung hat eine AU?

Das Bundesarbeitsgericht geht grundsätzlich davon, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Ärzten korrekt ausgestellt werden. Das Gericht ist der Meinung, dass zwar ein Missbrauch möglich ist. Es könne aber nicht angenommen werden, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stets missbräuchlich ausgestellt werden. In den überwiegenden Fällen seien die ärztlichen Bescheinigungen korrekt.

Daher sieht das Bundesarbeitsgericht in einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen sog. Anscheinsbeweis. Hiernach gilt eine Arbeitsunfähigkeit bereits schon durch die Vorlage einer AU zunächst als vollständig bewiesen. Der Arbeitnehmer braucht also nur eine AU vorzulegen, damit seine Arbeitsunfähigkeit vor den Augen des Gesetzes als nachgewiesen gilt. Durch die Vorlage einer AU wird von den Gerichten im Prozess die Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit unterstellt.

Wenn der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit nun anzweifeln will, muss er den Anscheinsbeweis erschüttern. Hierzu bedarf es häufig guter Argumente. Erst wenn der Anscheinsbeweis erschüttert wurde, obliegt es wieder dem Arbeitnehmer, seine Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen.

Wie wird der Beweiswert einer AU erschüttert

Der Anscheinsbeweis einer AU kann erschüttert werden. Die AU verliert dann ihren Anscheinsbeweis. In der Folge muss der Arbeitnehmer dann seiner Arbeitsunfähigkeit voll nachweisen. Beispiele für die Erschütterung des Anscheinsbeweises sind:

  • Wiederholte Arbeitsunfähigkeit im unmittelbaren Zusammenhang mit Urlauben in der ausländischen Heimat
  • Angekündigtes „Krankfeiern
  • Rückdatierung einer AU
  • Tätigkeit bei Konkurrenten während der Arbeitsunfähigkeit

Wie Ärzte eine Arbeitsunfähigkeit zu ermitteln haben, ergibt sich aus der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie und aus dem Bundesmantelvertrag – Ärzte. Verstöße gegen diese Vorschriften können ebenfalls den Beweiswert einer AU erschüttern.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hatte in einem aktuellen Fall (Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21) über eine weitere Erschütterung des Beweiswertes einer AU zu entscheiden.

Die Parteien stritten in dem Verfahren um Entgeltfortzahlung. Der Arbeitnehmer hatte in dem Fall sein Arbeitsverhältnis gekündigt und sich hierauf durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank gemeldet. In der AU selbst entsprach die Dauer der Erkrankung genau dem Zeitraum der verbleibenden Arbeitszeit. Als Erkrankung war die Diagnose „Sonstige und nicht näher bezeichnete Bauchschmerzen“ enthalten.

Die ersten beiden Instanzen gaben dem Arbeitnehmer noch Recht und sahen den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage der AU als erbracht.

Das Bundesarbeitsgericht widersprach. Aufgrund der gleichlaufenden Dauer von Restarbeitszeit und Arbeitsunfähigkeit sei der Anscheinsbeweis der AU erschüttert. Da der Arbeitnehmer nunmehr den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit nicht mehr erbringen konnte, konnte er seinen Anspruch auf Lohnzahlung nicht mehr durchsetzen. Denn einen Lohnanspruch hatte er nicht, da er nicht gearbeitet hatte und auch nicht beweisen konnte, dass er erkrankt war.